Es gibt kaum Ausstellungen zum 2. Weltkrieg, die ich in Berlin noch nicht angeschaut habe. Generell ist alles um den Aufstieg und den Fall des dritten Reiches eines meiner Lieblingsthemen. Daher war ich überrascht, wie viel Neues ich in Acht Tage im Mai lernte.
Ullrich beschreibt grundsätlich die Ereignisse des Zeitraums vom 1. Mai 1945 bis zum 8. Mai 1945, aber macht auch darüber hinaus zeitliche Exkurse, die helfen den Kontext der komplexen Abläufe zu verstehen, die in dieser kurzen Zeit stattgefunden haben.
Sehr wenig von den beschriebenen Ereignissen waren mir bewusst. Ich wusste nicht, wer nach Hitlers Selbstmord die Regierungsverantwortung überschrieben bekommen hat, oder was aus dem Typen dann wurde. Ich wusste nicht, dass versucht wurde eine Teilkapitulation mit der Westfront zu erringen, damit der Krieg an der Ostfront noch länger weitergeführt werden konnte. Tatsächlich war dieses 250 Seiten Buch so sehr gefüllt mit für mich neuen Infos, dass ich überrascht bin, wie ich vorher nicht schon auf etwas stieß, dass diesen Zeitraum entsprechend ausführlich beleuchtete. Unglaublich interessant.
Ich hatte ein wenig Angst, dass es ganz trocken, langweilig und schwer nachvollziehbar geschrieben sein würde, allerdings war es das Gegenteil. Gut strukturiert, gut formuliert, keine unnötig semiintellektuell verschwurbelten Satzkonstrukte. Das ganze ist gespickt mit Beobachtungen verschiedener Zeitzeugen. Besonders die Tagebucheinträge von “normalen” Leuten empfand ich als spannenden Kontrast zu den geopolitischen Dramen, die sich zu der Zeit abspielten.
Ullrich schafft es außerdem an den richtigen Stellen immer wieder Dinge ins rechte (ha!) Licht zu rücken. Am Ende des Buches wird zum Beispiel präzise beschrieben, dass der Drang zur Verdrängung der Geschehnisse bei den Deutschen direkt nach der Kapitulation einsetzte. Alle Hakenkreuze verschwanden und niemand war in 12 Jahren Nationalsozialismus jemals Teil des Problems gewesen. Dass unsere Erinnerungskultur sehr frisch ist, führt einem noch mal vor Augen, wie wertlos die “Jetzt ist ja auch mal gut, das Thema ist durch!” Einstellung einiger Idioten ist.
Das Schlusswort des Buches ist so schön, dass ich es euch nicht vorenthalten möchte:
Neben all der Zerstörung, der Selbstgerechtigkeit und der Unfähigkeit zu trauern zeigten sich so schon erste zarte Knospen des Neubeginns. Doch es sollte noch dauern, bis die Demokratie, die unter Anleitung von Amerikanern, Briten und Franzosen reimplantiert wurde, in der Bevölkerung der Westzonen Wurzeln schlug. Man muss sich das Ausmaß der Verheerungen, der materiellen wie moralischen, vor Augen halten, um zu begreifen, wie unwahrscheinlich dies am 8. Mai 1945 erscheinen musste und welche Errungenschaft es bedeutet, heute in einem stabilen, freiheitlichen und friedlichen Land leben zu können. Vielleicht ist es an der Zeit daran zu erinnern.